2|25
NICHT zuhause
Unterwegs im Zug
ist Sarah Michaela Orlovský mit Ida, Chris und Emil. Der zugehörige Schaffner ist extrem entspannt – trotz der Jagd nach dem entfleuchten Papagei, der damit zwar nicht den Zug, aber alles andere ins Rollen bringt. Peter Rinnterhaler steigt später begeistert in den ICE, vielleicht auch, weil er knapp drei Jahrzehnte zuvor nicht mitfahren durfte …
Juliana Guger
hat den Dixi Kinderliteraturpreis gewonnen und ist zusammen mit Verena Weigl vom Institut für Jugendliteratur zur Kinderbuchmesse nach Bologna gefahren. Auf der Reise haben sich die beiden auch über das Reisen unterhalten.
Die Bücherei
ist für Simone Kremsberger "ein einladender, wissensreicher, menschenfreundlicher, fantastischer und kraftvoller Ort, sowohl in der Literatur als auch in der realen Welt." Kein Wunder also, dass sie gerne dort ist – in beiden Welten.
Fanfiction
ist jene fiktive Welt, in der Leser:innen ihre geliebten Held:innen aus Büchern weiterleben lassen, wenn sie sich nach der letzten Seite nicht von ihnen trennen wollen. Manuela Kalbermatten findet das gut.
Die Küche
ist ein Ort, an dem Ela Wildberger sich zuhause fühlt. Lesend ist sie dort mit einigen anderen interessanten Leuten zusammengetroffen.
Durch Gitterstäbe
beobachtet Silke Rabus Tiere, die in Käfigen leben. Von denen einige wiederum durch die Gitterstäbe hindurch jene Menschen beobachten, die durch Gitterstäbe hindurch gucken …
Das Freibad
ruft in Anna Stemmann schöne Erinnerungen und Assoziationen wach: Pommes, Eis, auf einer Decke rumlungern … Man kann im Bad sehr viel anderes machen als schwimmen, weiß sie.
Mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2025
wurden Michael Hammerschmid & Barbara Hoffmann, Sarah Michaela Orlovský & Michael Roher, Matthäus Bär und Anika Voigt sowie Kathrin Steinberger ausgezeichnet.
Sie alle sind in dieser Ausgabe zuhause.
Inhalt
Die 1002. Seite
Juliana Guger
ist Franz Lettner
Unterwegs im Zug
mit Sarah Michaela Orlovský
Ein Fest auf Schienen
feiert Peter Rinnerthaler
Unterwegs in Bologna
mit Juliana Guger
Ein Ort für alle
Simone Kremsberger ist in der Bücherei
Umfunktionieren. Neu mischen. Sampeln
Manuela Kalbermatten über Fanfiction
Deckel auf – Deckel zu!
Ela Wildberger geht in die Küche
Silke Rabus schaut durch Gitterstäbe
Alles außer Schwimmen
Anna Stemmann im Freibad
Meike Harms über Poesie in der Schule
Nicht zuhause, sondern in den Bildern
Michael Hammerschmid & Barbara Hoffmann
Draußen drinnen sein
Christina Pfeiffer-Ulm übernachtet im Zelt
Im Versteck
Alexandra Hofer über einen Ort, der zum Zuhause werden kann
Außerhalb des Seitenrands
Michael Roher
Schwimmen, schlafen, fressen
Matthäus Bär über Wasserschweine, Vorbilder und komische Zoo-Tiere
Trotzdem das Richtige tun
Kathrin Steinberger über ihren Roman "Der Rosengarten"
"Petrichor" von Inga Krause
wurde in der grund_schule der künste gelesen
Enemies to Friends
Eine Kolumne von Christine Lötscher
Liebe Leserinnen und Leser,
nach langen Tagen in der Schule, im Büro, auf dem Spielplatz, in der Werkstatt oder unterwegs ist man meist froh, nach Hause zu kommen. Auch in Kinderbüchern markiert dieser Moment oft das glückliche Ende einer Geschichte. Auf Lioba (aus »Gazelle« von Heinz Janisch und Michaela Weiss) beispielsweise warten daheim nach einem schwierigen Tag »Wärme, Licht und ein gutes Essen«. Nicht anders geht es Max nach seinem Ausflug zu den wilden Kerlen: Er kommt nach Hause, »wo es Nacht war und das Essen auf ihn wartete, und es war noch warm.« Wie Lioba wird auch der Junge eine Umarmung dazubekommen haben.
Zuhause, das ist zuerst einmal der Ort, an dem man wohnt. Amtlich heißt das ordentlicher Wohnsitz und man hat dort gemeldet und also im Zweifelsfall auffindbar zu sein. Aber es ist noch viel mehr. Für Kinder ist es jener Ort, wo sie geschützt und sicher groß werden, von ihren Erwachsenen versorgt mit warmen Suppen und Umarmungen. Jedes Kind – mit oder ohne Meldeadresse – hat ein Recht auf so ein Zuhause. Auch, um von dort aus in zunehmend größeren Radien die Welt zu erkunden.
Von den zahllosen Orten, an denen Kinder sich aufhalten, wenn sie nicht zuhause sind, haben wir einige ausgewählt und nach entsprechenden literarischen Belegen gesucht. Dass Simone Kremsberger die Bücherei für sich reklamiert hat, liegt nicht nur daran, dass sie Mitarbeiterin des Büchereiverband Österreichs ist. »Die öffentliche Bibliothek«, schreibt sie nach ihrem Rundgang durch einige Bilderbücher, »ist ein einladender, wissensreicher, menschenfreundlicher, fantastischer und kraftvoller Ort, sowohl in der Literatur als auch in der realen Welt. Wer sie einmal betreten hat, kann nur gewinnen.« Manche Leser:innen, weiß Manuela Kalbermatten, tauchen so tief ein in die literarische Welt, dass sie den Figuren über die Buchdeckel hinaus verbunden bleiben und sie in eigenen Geschichten weiterleben lassen. Fanfiction wird diese besondere Form der Aneignung und literarischen Kommunikation genannt.
Weitere Schauplätze sind handfester. Anna Stemmann macht einen Ausflug ins Schwimmbad – in Begleitung von Protagonist:innen, die dort alles andere vorhaben, als zu schwimmen. Christina Ulm übernachtet im Zelt mit Figuren, von denen nicht alle gern draußen drinnen sind. Das ist in Ordnung, weil das Zelt vor allem auch in der Literatur eher symbolisch zu verstehen ist. Wohingegen der ICE für Peter Rinnerthaler in seiner Kindheit in den 1990er Jahren ikonisch war, in einer Reihe stand mit Fahrzeugen wie der Concorde oder dem Ferrari Testarossa. »werch ein illtum« hat Ernst Jandl das schon 20 Jahre früher kommentiert. Peter Rinnerthaler hat mittlerweile den seinen eingesehen, steigt aber auch immer noch begeistert in jenen ICE, in dem es nur so wimmelt. Juliana Guger ist mit dem Zug – vermutlich in einem Railjet – zur Kinderbuchmesse nach Bologna gefahren. Weil sie mit dem Dixi Kinderliteraturpreis 2024 in der Kategorie Illustration ausgezeichnet wurde, hat Verena Weigl vom Institut für Jugendliteratur sie begleitet und ihr beim Warten am Bahnhof ein paar Fragen gestellt. Für die tiefblaue Sehnsucht auf der 1002. Seite ist Juliana Guger auch verantwortlich.
Nach dem vielen Herumfahren schicke ich Sie mit Ela Wildberger in die Küche – eher eine (feine) Themenverfehlung, weil das ein Ort ist, an dem nicht nur die Beiträgerin, sondern auch viele andere sich geradezu zuhause fühlen – ich sage nur Suppe. So gestärkt macht sich Alexandra Hofer auf die Suche nach Kindern, die dort zuhause sind, wo sie keiner finden soll – im Versteck, einem höchst ambivalenten Ort. Was naturgemäß auch für den Käfig gilt. Silke Rabus riskiert – von beiden Seiten aus – einen Blick durch Gitterstäbe. Dabei hätte sie auch jene Tiere treffen können, die Matthäus Bär zu einem Preis verholfen haben: Für »Drei Wasserschweine brennen durch« hat er zusammen mit der Illustratorin Anika Voigt den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2025 erhalten. Klaus Nowak hat mit dem Autor auch über den Sinn des Lebens – schwimmen, schlafen, fressen? – geplaudert.
Den ausgezeichneten Büchern und ihren Urheber:innen haben wir in dieser Ausgabe viel Platz gewidmet: Kathrin Steinberger hat mit mir über ihre Arbeit an »Der Rosengarten« und die Notwendigkeit, trotz widriger Umstände das Richtige zu tun, gesprochen. Sarah M. Orlovský ist noch einmal mit »Ida, Chris und Emil im Zug« gefahren – für das Bilderbuch wurde sie zusammen mit dem Illustrator Michael Roher ausgezeichnet. Der immer auch im Blick hat, was außerhalb des Seitenrandes liegt. »was keiner kapiert« heißt der ebenfalls bepreiste Lyrikband von Michael Hammerschmid und Barbara Hoffmann. Für das Heft hat der Dichter wie immer seine Kolumne abgeliefert, die diesmal aber von der Illustratorin und Grafikerin Barbara Hoffmann bebildert und gestaltet wurde. Und die Bühnenpoetin und Poesiepädagogin Meike Harms hat den Gedichtband als Anlass für einen Appell genommen, der Lyrik in der Schule ein Zuhause zu geben.
Nicht nur dort, sondern auch in den fantastischen Bibliotheken, ergänze ich, sowie an allen Orten, an die jemand nach Hause kommt. Dort warten dann neben einer warmen Suppe und einer Umarmung auch noch »Wortgeschenke«, wie Lena Raubaum und Katja Seifert ihren Gedichtband »Ich hab da was für dich« im Untertitel nennen. Auch dieses Buch wurde wie die anfangs zitierte »Gazelle« und vier weitere in die Kollektion zum Preis aufgenommen. Herzlich gratuliere ich allen anderen ausgezeichneten Künstler:innen und ihren Verlagen.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser wünsche ich einen guten Sommer. Über kurz oder lang werden wir uns wieder lesen.
Franz Lettner
In der Lyrik wohnen
Warum Poesie verstehen kann, "was keiner kapiert" und was Michael Hammerschmid damit zu tun hat
Von Meike Harms
Lyrik, meint die deutsche Bühnenpoetin und Poesiepädagogin Meike Harms, kann so viel: anregen und aufregen, Ausdruckskraft schärfen, zum Spiel verführen, Spaß machen … Literaturvermitller:innen können mithelfen, das Tiny House unter den literarischen Immobilien auch für Jugendliche bewohnbar zu machen. Mit Michael Hammerschmids Gedichten könnten (nicht nur) sie sich einrichten.
DICHTUNG BEGEGNEN. "Was wollte uns der Autor damit sagen?" fragt der Deutschunterricht. "Der Autor ist tot" sagt Roland Barthes. "Ich habe ein Problem mit Autoritäten" sagt Sina, 13 Jahre alt, aus der 7b. "Und überhaupt, woher soll ich wissen, was im Kopf von diesem Typen vorgeht."
Zurecht. Denn die Frage nach der Intention von Lyriker*innen, die häufig im Rahmen der analytischen Annäherung an Gedichte gestellt wird, ist so verstaubt wie das vorherrschende Image von Lyrik im schulischen Kontext allgemein. Menschen, die schon sehr lange tot sind, dichten mit Wörtern, die nur noch selten verwendet werden über Themen, die niemanden wirklich bewegen, der gerade in den Stürmen der omnipräsenten Pubertät nach Halt sucht.
"beschissen / ich soll latein / ich soll sitzen / die bücher an- / schauen nicht / schwitzen […]" (was keiner kapiert, S. 67)
Und im Grunde werden die Autor*innen doch ohnehin oft falsch verstanden. Ein bisschen wie die jugendlichen Rezipient*innen selbst. Ja, es gibt auch die zeitlosen, 100 oder 200 Jahre alten Gedichte, die in Inhalt und Form mitten ins gegenwärtige Herz treffen, die lyrischen Ichs, die auch heute noch jungen Menschen Identifikationsfläche bieten. Dennoch: Die Auswahl an fantastischen Gegenwartslyriker*innen ist enorm. Warum also für die Zielgruppe nicht darauf zurückgreifen?
Michael Hammerschmid thematisiert in seinem aktuellen Gedichtband "was keiner kapiert" alle Facetten der jugendlichen Orientierungslosigkeit und dichtet über Gefühls- und Problemlagen so nah am Teenager, dass man glauben könnte, er sei selbst noch in der Pubertät. Vielleicht kann er sich einfach noch sehr gut erinnern
"[…] wer kennt / sich drinnen aus / drinnen im innern / im kopf im herz / im wort im schmerz / wo die verbote / gebote lauern / kauern mauern / hol mich / da raus / aus dem aus / aus." (was keiner kapiert, S. 69)
…
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Aalbu: Herrn Specht geht’s schlecht
Bär: Die Kickflip-Bande
Becker: Luftmaschentage
Berling & Oh: Kuscheln, Wut und Schabernack
Bernhard u. w.: Stell dir vor!
Bertram & Hellmeier: Alles Safe
Blume & Sacher: Alma abweisend
Bodner: in mir drin ist’s bunt
Bonastre Tur: Hooky
Bow: Alpakas, Agate und mein neues Leben
Büsing: Wir kommen zurecht
Cadan: Ein Reich aus Silber und Magie
Clarkson: Schau genau hin!
dtv: Ran an die Buchstaben
Dumon Tak & van Haeringen: Regenwurm und Anakonda
El-Bahay: Foxfighter
Engel: Pages UnWritten
Estrela: Pardalita
Fabra: Das Herz
Flattinger & Hartlieb: Die Drachen sind los
Frank: Füller-Kinder
Franov: Zuhause auf der Klippe
Gmehling & Rassmus: Der Sternsee
Gravel: Alle Menschen
Gravel & Blaus: Du bist Du … und wunderbar
Hammerschmid & de Tellerría: wolkenschaum
Hein: Große sind Schisser
Heinze & Stangl: Muskelsalat
Howard & Herba: Respekt fürs Insekt
Kempen: Lichterloh – Stadt unter Ruß
Kreller: Das Herz von Kamp-Cornell
Krügel: ALmuth und der Hühnersommer
Kuhl: Pferde, Tränen, Lachanfälle
Langer: They are everywhere
Lindell: Der süßeste Bruder der Welt
Lust: Die Frau als Mensch
Magoon: Die Bibliothek der verborgenen Erinnerungen
McGuire: HIER
Messerli: Stofflichkeit, Sinnlichkeit, Präsenz
Minelli: Keiner bleibt zurück
Miyakoshi: Die kleine Spitzmaus
Mohl: Engel der letzten Nacht
Mühlenberg: Schwimmbad
Myklebust: Auch am Tag Leuchten die Sterne
Niemöller & Oser: Die Gurkentruppe hält zusammen
Pin: Ada Blackjack
Röndigs & Hellmeier: 102 Haustiere
Rørvik & Weikert: Fuchs & Ferkel. Tücken mit Mücken
Sabbagh & Bardos: Kajak
Scharmacher-Schreiber & Schulz: Was ist arm und was ist reich?
Schwarz: Der große Wurf
Sharp: Moor Myrte und das Zaubergarn
Soukupová: Klub der seltsamen Kinder
Valckx: Edith. Das Mädchen von hundert Jahren
Vogt & Horstschäfer: Die ganze Wahrheit über das Lügen
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