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über KURZ oder LANG
kurz
No measure of time enough with you will be long enough, but let’s start with forever. (Edward Cullen in: The Twilight Saga: Breaking Dawn – Part 1)
genau richtig
»… und Adrian sah sich die Welt von oben an, und die Welt war zwei Köpfe kleiner als er, so gut war alles, alles war gut, wie es war« (Susan Kreller: Schneeriese).
lang
Auch die Schicksalssekunde ist nur der 60. Teil einer Minute, und die ist der 60. Teil einer Stunde, und die ist der 24. Teil eines Tages, der Dauer einer Drehung der Erde um ihre Achse. (Alexadra Hofer zitiert die Physikalisch-Technische Bundesanstalt)
groß genug
Nichts ist zu klein für die Literatur. (Heinz Janisch)
so oder so gilt
Es ist alles nicht so wichtig, wenn man nicht mehr ungeküsst ist. (Nikola Huppertz: Fürs Leben zu lang)
Inhalt
Die 1002. Seite
Julian Tapprich
ist Franz Lettner
Der Mensch als Mittelmaß
Christina Pfeiffer-Ulm über Größenordnungen in der Fantastik
Kurze Beine & lange Nase
Kathrin Wexberg über das Lügen
Mission Impossible
Heidi Lexe über Bilderbuchhelden in Bewegung
Schicksalssekunde
Alexandra Hofer
Für immer und ewig
Marie Lechner über Liebe und Unsterblichkeit in der Romantasy
Nur noch kurz …
Simone Kremsberger und Karla über Wege zum Einschlafen und Reisen durch die Nacht
Richtig groß
Eine Skizze von Ela Wildberger
denk mal gedichte: kurz kurz lang
Michael Hammerschmid
kurz und gut
Jana Sommeregger über die Kurzgeschichte
Alles ist gekürzt um Längen besser?
Katrin Feiner, Nils Mohl und Elisabeth Steinkellner über Längen und Kürzen
Heinz Janisch
Von Vögeln und Katzen
Julian Tapprichs Bilderbuchdebüt
Jurek findet sein Glück
von Heinz Janisch und Erwin Moser ist zeitlos
"Ich war die ganze Welt" von Ulrike Möltgen
wurde in der grund_schule der künste gelesen
Enemies to Friends
Eine Kolumne von Christine Lötscher
Zur Sach
Marlene Zöhrer über Sachbücher zur Frage der Zeit
Anarchie, monoton und Thomas Mann
Randnotiz von Hans ten Doornkaat
Liebe Leserinnen und Leser,
Sie werden etwa vier Minuten brauchen, um dieses Editorial zu lesen. Kommt Ihnen das kurz vor oder lang? Wer vier Minuten nach dem Klingeln immer noch vor einer Tür steht, ist vermutlich Optimist und jedenfalls kein Paketzusteller. Vier Minuten Verspätung eines Fernverkehrszugs der Deutschen Bahn dagegen ist für die meisten Reisenden so gut wie nichts. Dass Kindern die Zeit bis Heiligabend auch am 2. Adventsonntag noch unendlich lang vorkommt, Erwachsene dagegen bereits Anfang November (also bald!) das Gefühl haben, Weihnachten stehe praktisch vor der Tür, liegt nicht in erster Linie daran, dass die Älteren für Baum, Geschenke etc. verantwortlich sind. Sondern am Maßstab, der immer das eigene Leben ist. Wenn Sie das interessiert, springen Sie zur Kolumne Zur Sache von Marlene Zöhrer, die kluge Sachbücher zum Thema Zeit präsentiert. Sie sparen damit gut drei Minuten.
Verpassen dann aber einen kurzen romantischen Ausflug. Der zuerst ins Badezimmer führt: Julian Tapprich lässt auf der 1002. Seite Hund und Katze im Schaumbad kuscheln und zeigt die zuständige Verantwortliche resigniert, aber nicht total überrascht. Kann sein, sie hat das Bilderbuchdebüt des Illustrators vor Augen: In "Tigerträume", auf das Sie weiter hinten im Heft noch einen Blick werfen können, werden ebenfalls zwei Tiere miteinander glücklich, die im wirklichen Leben so nicht zusammenkommen. Das Bilderbuch wurde in die Kollektion zum Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2025 aufgenommen – früher oder später hätte es wohl so kommen müssen, werden jene sagen, die Julian Tapprichs Arbeit besser kennen.
Zurück zu Abenden in der Badewanne bei Kerzenlicht zu zweit (ich lasse die horrenden Energiekosten, die verschrumpelte Haut und die im Badewasser schwimmenden Pizzabelagteile außer Acht) und der Frage der ewigen Liebe, die in der Literatur unter dem Titel New Adult gegenwärtig eine Hochzeit feiert. (Wenn sie dieses Genre interessiert, blättern Sie zur Kolumne Enemies to Friends von Christine Lötscher). Wie lange sie bei Normalsterblichen im Durchschnitt dauert, also die ewige Liebe, darüber geben Scheidungsraten tendenziell Auskunft. Will man wissen, wie Unsterbliche (Vampire u a.) mit der Liebe bis dass der Tod euch scheidet umgehen, muss man die Romantasy befragen. Marie Lechner hat das getan und kommt zu einer enttäuschenden Antwort: Nicht einmal dort ist ewige Liebe eine Frage der Zeit. "Die Liebe ist ewig, solange sie dauert" hat Gabriel García Márquez es auf den Punkt gebracht. Mit der Schicksalssekunde ist es im Grunde nicht viel anders, bloß umgekehrt. Sie ist, wie Alexandra Hofer schreibt, nur so kurz, wie jede andere auch, wirkt aber in der Regel länger nach.
Sie haben jetzt knapp die Hälfte der Lesezeit hinter sich. Ein guter Moment, um eine Gretchenfrage zu stellen: Wie halten Sie es mit dem Umfang von Büchern? In der Literaturvermittlung bekommt man oft zu hören, dieses und jenes Buch, eigentlich: fast alle Bücher seien zu dick. Die jungen Lesenden wollten oder könnten keine langen Texte mehr lesen. Sind 210 Seiten die gerade richtig lange Länge? Das jedenfalls ist die durchschnittliche Seitenzahl der ersten zehn Bücher auf der Kinderbuch-Jahresbestsellerliste 2024 (www.boersenblatt.net). Ja, es ist ein Harry-Potter-Band dabei, der den durchschnittlichen Umfang ein wenig hebt. Nein, Kurzgeschichte findet sich keine unter den meist verkauften Büchern des letzten Jahres. Dabei müsste die Short Story die literarische Form der Stunde sein, in der nichts kurz genug sein kann. Was Kurzgeschichten können und welche man lesen sollte, fasst Jana Sommeregger zusammen.
"Alles ist gekürzt um längen besser" hat der Lyriker Arne Rautenberg in seinen "Direktiven und Maximen" (und 2021 auch auf der 1002. Seite) behauptet. Was die Autor:innen Nils Mohl und Elisabeth Steinkellner sowie Katrin Feiner, Programmmacherin und Lektorin bei Tyrolia in Wien, davon halten? Im Heft finden Sie die Antworten auf diese und andere Fragen über Längen und Kürzen beim Lesen, Schreiben und Lektorieren. Eine Abkürzung auf Seite 28 zahlt sich jetzt aber eher nicht mehr aus. Auch, weil Abkürzungen sich bisweilen als Umwege entpuppen, wie Michael Hammerschmid in seiner Kolumne denk mal gedichte anmerkt. Zumindest war das bei ihm so in der Kindheit. Diese Erinnerung nimmt der Dichter als Ausgangspunkt für seine Überlegungen zur Kürze und Länge beim Lesen und Schreiben von Gedichten.
Kurz oder lang ist naturgemäß nicht nur eine Frage der Zeit, sondern auch der Größe. Das wissen Kathrin Wexberg, die der Sache mit den kurzen Beinen und langen Nasen nachgegangen ist, und Heidi Lexe, die sich die Bewegungen von Bilderbuchhelden angesehen hat, die besondere Formate nötig machen. Christina Pfeiffer-Ulm schließlich hat eine Messlatte zur Hand genommen, fantastische Klein- und Großlebewesen vom Winzling über den Troll bis zum Weltenfresser vermessen und kommt zum Schluss: Der Mensch ist ziemlich mittelmäßig. Damit müssen wir leben. Was es für einzelne Exemplare heißen kann, über das Mittelmaß hinauszuschießen, erzählt Ela Wildberger, die zwei große Bücher über große Figuren wiedergelesen hat.
Als einen großen Autor der kleinen literarischen Formen hat die Jury des Hans Christian Andersen Award 2024 den österreichischen Autor Heinz Janisch gewürdigt und ausgezeichnet. In seiner Dankesrede, die wir abdrucken dürfen, ruft er allen, die künstlerisch für Kinder tätig sind, zu: "Lasst euch nicht kleinreden". Das ist doch ein Appell, für den sich die vier Minuten Lesezeit bis hierher gelohnt haben, meinen Sie nicht? Auch weil ich sicher bin, dass Heinz Janisch Sie als Literaturvermittler:innen alle mitgemeint hat. Bleibt mir noch, Ihnen recht viel Zeit zu wünschen für die Lektüre der Beiträge, der Rezensionen und nicht zuletzt der Bücher, über die hier gesprochen wird.
Franz Lettner
Lasst euch nicht kleinreden
Heinz Janisch
Im letzten Herbst hat sich Heinz Janisch in eine illustre Gesellschaft eingereiht: Zusammen mit dem kanadischen Illustrator Sydney Smith wurde er mit dem Hans Christian Andersen Award 2024 geehrt. Seit 1956 wird diese renommierte internationale Auszeichnung alle zwei Jahre vom International Board on Books for Young People (IBBY) an eine:n Autor:in und eine:n Illustrator:in verliehen, zu den bisherigen Preisträger:innen zählen etwa Astrid Lindgren (1958), Erich Kästner (1960), Maurice Sendak (1970), Lygia Bojunga Nunes (1982), Christine Nöstlinger (1984), Lisbeth Zwerger (1990), Tomi Ungerer (1998), Anthony Browne (2000), Jürg Schubiger (2008) oder Jacqueline Woodson (2020). Dass mit Heinz Janisch nun ein Meister der kleinen Form gewürdigt wird, ist eine schöne Überraschung. In der Jurybegründung heißt es: "Heinz Janisch is a master at writing for young children. He opens spaces for children to stretch their imagination and invites illustrators to do the same. To say that less is more is an understatement for Heinz, he maintains that nothing is too small for literature."
Lesen Sie im folgenden jene Rede, die Heinz Janisch bei der Übergabe des Preises auf dem IBBY-Kongress in Triest gehalten hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Literaturfreunde! Ich fühle mich zutiefst geehrt, als Hans-Christian-Andersen- Preisträger 2024 vor Ihnen zu stehen. Im Jahr 2000 habe ich am 27. IBBY-Kongress in Cartagena in Kolumbien teilgenommen, mein Buch »Der Sonntagsriese« stand auf der IBBY-Honour-List. In meiner Dankesrede – die ich stellvertretend für alle Nominierten halten durfte – erzählte ich ein altes Märchen aus Äthiopien. Daraus entstand zwei Jahre später das Bilderbuch "The Fire", mit Illustrationen von Fabricio Vanden Broeck erschienen bei Groundwood-Books in Toronto. Ich erlaube mir, diese Geschichte noch einmal zu erzählen, weil sie meinem Gefühl nach viel mit unserer Tätigkeit im Bereich der Kinderliteratur zu tun hat – ob wir nun schreiben, illustrieren, übersetzen oder Literatur vermitteln.
Wovon erzählt das Märchen "The Fire"? Ein Mann hat lange schwer für seinen Herrn gearbeitet, er hat ihm viele Jahre gedient. Eines Tages geht er nun zu ihm und fragt ihn: "Was kann ich tun, um endlich frei zu sein?" Sein Herr lacht höhnisch. "Du willst frei sein? Ich sage Dir, was Du tun kannst! Steig in dieser Nacht auf den hohen Berggipfel dort drüben. Wenn Du es schaffst, ganz oben im Eis und im Schnee nackt und ohne Kleider zu überleben, wenn Du diese Nacht überstehst, dann wirst Du morgen frei sein."
Der Mann geht zu seinem besten Freund, um sich von ihm zu verabschieden. Wie soll er diese Nacht überleben?
Als es dunkel wird, steigt der Mann mit schweren Schritten auf den Berg hinauf, immer höher, bis hinauf zum Gipfel, der mit Schnee und Eis bedeckt ist. Es ist bitterkalt. Sein Herr hat zwei Männer mitgeschickt, sie sollen darauf achten, dass der Mann sein Wort hält und nirgendwo Schutz sucht. Nackt und schutzlos steht der Mann auf dem Gipfel, die klirrende Kälte ist kaum zu ertragen.
…
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Alemagna: Der Sommer mit Pepper
Anlauf & Konstantinov: Geniale Augen
Bemelmans: Madlen
Berberian: Groß werden
Baltscheit & Fiedler: Rolf und Rose. Der Dieb der Farben (Band 1)
Bierman: Herr Fuchs mag Po-esie!
Bulbenko & Kajdanowskaja: Elektrizität und Himmelsfische
Crestodina: Schiff ahoi!
Davies: Super-GAU
DiCamillo: Der Sommer der unmöglichen Dinge
Ran an die Buchstaben. Kinderliteratur für den Deutschunterricht
Engstfeld: Boah, was für ein Fahrrad!?
Fohringer-Hackl & Halvax: Rosa Famosa
Gorelik: Detektiv Samson 2
Guterson: Das World Famous Nine
Hach & Dürr: Tomke gräbt
Hanika & Andres: Wenn Mama Fuchs schläft
Heck & Jooß: A wie Biene
Hergane & Pieper: Alle weg
Höfler & Weikert: Nachtspaziergang!
Ibbotson: Annika und der Stern von Kazan
Janisch & Moser: Jurek findet sein Glück
Jeschke & Bodenstein: Drachen machen Sachen
Karski: Fang mich! Tutu und die Fahrzeuge
Kermani & Zaeri: Zu Hause ist es am schönsten …
Kinstner: Theo, Tim, Kurkuma und ich
Kling & Henn: Die Maus hat einen neuen Freund
Klinge: Der Zahn
Köller & Schautz: Richtig anders — anders richtig
Kolly: Ein Zuhause für Michel und Angelo
Kröner: Detekiv Ameisis
Le Huche: Die kleinen Königinnen
Lemire & Bregnhøi: Jürgen Pinguin baut was, was bellt
Lüftner & Töpperwien: Die Blaubeere
Master: Wort für Wort
McGhee: Das Telefon in der Birke
Mourlevat: Jefferson ärgert sich
Praßler: Keine Party ist auch keine Lösung
Rørvik & Engedal: Die Ritter und das große Feuer / Die Ritter holen Gold / Zwei kleine Ritter
Roumiguière & Lacombe: Die Schöne und das Biest
Rundell: Impossible Creatures. Das Geheimnis der unglaublichen Wesen (Band 1)
Scheffel: Wanda
Schlichtmann: Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna
Standish: Baskerville Hall
Tuschka & Stelbrink: Stille Post
Undurraga: Schnitzel, der Fuchs
van de Wijdeven: Die schlechteste Idee in der Geschichte der schlechten Ideen
Völk: Drachengeburtstag
Wagner: Death in Brachstedt
Welk: Frei — Bester Sommer
Weninger & Penz: Bis bald kleines Schaf!
Westin Verona & Verona: Kalle und Elsa klettern
Wiehle: Das Leben da draußen
Winderlich: Bild_Natur_Bild
Wildner: Zu schnell für diese Welt
Wilson & Quint: Max, der Gemüseheld
Wolk: Der Sommer, in dem der Blitz mich traf
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