Liebe Leserinnen und Leser,
wir feiern ein Jubiläum: Seit 1999 publizieren wir 1001 Buch im vorliegenden Erscheinungsbild! Das ist ein guter Anlass, einige Menschen zu würdigen. Die Redaktion zum Beispiel: Mit Franz Derdak, Heidi Lexe, Klaus Nowak, Silke Rabus und Ela Wildberger sind 5 Redakteure und Redakteurinnen von Anfang an dabei, seit 20 Jahren also! Simone Kremsberger, Peter Rinnerthaler und Christina Pfeiffer-Ulm sind im Lauf der Zeit dazugestoßen. Diese Redaktion ist das Herz von 1001 Buch, verantwortlich für die inhaltliche Ausrichtung, die Haltung, in der hier über Literatur für Kinder und Jugendliche erzählt wird, die Auswahl der Themen, die Grunderzählung jeder Ausgabe. Durch ihre regelmäßigen Beiträge über die Jahre haben die Mitglieder der Redaktion darüberhinaus auch eine Art Stilpalette des Schreibens vorgegeben. Was die Redaktion und 1001 Buch ausmacht? Neugierde, Offenheit in fast alle Richtungen, Leidenschaft für Literatur, auch Diskussionsbereitschaft, überhaupt: Emotionen, eher Witz als Pathos, Interesse an der Theorie, Mut zum Urteil, auch in Fragen der Wertung, der Wunsch, LiteraturvermittlerInnen an allen buchaffinen Orten Orientierung zu geben, Anregungen, Gesprächsstoff; und schließlich die Gewissheit, dass angehende und junge LeserInnen nicht nur irgendetwas lesen (wollen) sollen, sondern das Beste, was sie kriegen können. (So viel zum Thema Pathos.)
Dass das oft funktioniert, hat naturgemäß mit jenen zu tun, die für 1001 Buch schreiben. In den 20 Jahren waren das knapp 450 Menschen! Viele davon haben einmalig einen Beitrag abgeliefert, manche schreiben regelmäßig. Zu Letzteren zählen auch die RezensentInnen, die zudem dafür sorgen, dass das Meinungsbild durchaus divers ist. Seit 12 Jahren werden sie von Isabella Stelzhammer betreut, die auch für das Korrektorat verantwortlich ist. Die Fehler, die Sie dennoch vielleicht gefunden haben, gehen auf meine Kappe. Bisweilen meine ich, in letzter Minute vor Drucklegung noch etwas reinschreiben zu müssen. Bevor Nele Steinborn für die Schönheit sorgt. Die Grafik Designerin hat schon 1998 unsere Vorstellung von einer kinder- und jugendliteratischen Quartalszeitschrift in eine Form gebracht und ist seitdem für das Erscheinungsbild und die Lesbarkeit jeder Ausgabe zuständig. Im Lauf der Zeit hat sie Kleinigkeiten verändert und angepasst, das typografische Konzept und das Logo vor zwei Jahren generalsaniert. Ich könnte noch weitermachen, von Menschen erzählen, die Sie im Heft kaum zu sehen kriegen: 1001 Buch wird seit der Übernahme der Medieneigentümerschaft vor 20 Jahren durch das Institut für Jugendliteratur von Institutionen unterstützt – dem Bibliothekswerk, dem Buchklub der Jugend, dem BVÖ und der STUBE –, die als Herausgebergemeinschaft der Redaktion Freiraum schaffen und lassen; ich müsste Barbara Mladek nennen, die sich um Abo-Angelegenheiten und Verwaltungsagenden kümmert, die Druckerei Gutenberg Werbering in Linz, die diese Seiten immer schon gedruckt hat und das nach wie vor in hoher Qualität tut, Florian Brunner, der von Saarbrücken aus unsere Anzeigenkunden betreut. Und würde schließlich nach einem Hinweis auf jene öffentlichen Einrichtungen, die 1001 Buch über Ankäufe unterstützen, bei Ihnen landen, den Leserinnen und Lesern.
Für Sie haben wir eine Jubelnummer mit mehr als 40 Listen zusammengestellt. Diese spezielle Form des Erzählens ist ja allgegenwärtig. Mit ihrer Hilfe organisieren wir unseren Alltag, aber To-do-Listen sind natürlich auch Teil des Arbeitslebens. Was habe ich in zwanzig Jahren Redaktionsarbeit Listen geschrieben: mit Terminvorschlägen für Redaktionsbesprechungen, möglichen Themen für die Jahresplanung, potentiellen BeiträgerInnen, angefragten BeiträgerInnen, BeiträgerInnen, die abgesagt haben … Listen von Büchern, die ich lesen wollte, die ich lesen sollte, die bestellt werden und rezensiert werden mussten, die rezensiert oder nicht rezensiert wurden; Listen von Bildern, die angefordert werden mussten, Belegexemplare, die verschickt werden mussten …
Dass Listen auch in der Literatur eine Rolle spielen, ist jedenfalls seit der sg. Popliteratur bekannt. Da hat dieses Erzählformat, das ja immer schon da gewesen ist, eine erhebliche Rolle gespielt. Das tut es auch in der Kinder- und Jugendliteratur. Agnes Blümer präsentiert im einzigen »regulären« Magazinbeitrag dieses Hefts eine »Poetik der kinder- und jugendliterarischen Liste«, die klar macht, dass man es auch dort – etwa im Wimmelbuch – mit Listen zu tun hat, wo man keine vermutet.
Nach diesem grundsätzlichen Beitrag kommen nur noch Listen. Das ist einerseits das, wonach es auf den ersten Blick aussieht: ein buntes, schräges Sammelsurium. Repräsentiert so aber doch auch die grundlegende Haltung, von der ich gesprochen habe. Man kann bei der Lektüre dieser Listen auf manches stoßen: Auf Bücher, von denen man noch nie gehört hat oder die man wieder vergessen hat, auf Bücher, die man immer schon mal lesen wollte, die man jedenfalls lesen sollte – oder verschenken; auf vergriffene Bücher, die aber meist antiquarisch irgendwo und fast immer billig zu haben sind; auf Filme, die man übersehen hat und Hörbücher, die man nicht nur im Auto, in der Badewanne oder im Bett hören kann. Listen, Listen, Listen …
Und am Ende wie immer neue Bücher, auch sie aufgelistet, im Register auf der hinteren Umschlagseite, einer sehr nützlichen Liste.
Ich hoffe, Sie mögen dieses Heft. Und wünsche mir zum Jubiläum: Bleiben sie diesem Magazin gewogen.
Franz Lettner
Listen lesen
Agnes Blümer zu einer Poetik der kinder- und jugendliterarischen Liste
»Cornflakes
Milch
Chips
Nudeln
Dosentomaten
Stricknadeln
Wolle«
(Steinkellner 2015, 133)
Listen finden sich nicht nur in literarischen Texten in Text und Paratext, sondern auch im Alltag an vielen Orten, sei es handgeschrieben oder digital: als Einkaufszettel (Milch!), als to do-Liste (Anna anrufen!), als Ratgeber oder Wunschliste (1000 Places to see before you die!), als Besten- oder Empfehlungslisten (Die 10 besten Bücher für die Kleinen!), im Menu von Websites, Apps oder auch als Grundstruktur vieler online-Texte nach dem »Listicle«-Prinzip, also einer Mischung aus Liste und Artikel (oft mit reißerischem Titel à la »23 Geheimnisse, die Bundeswehrsoldaten lieber für sich behalten«, Buzzfeed gepostet am 02.11.2017).
Dementsprechend gibt es auch eine rege wissenschaftliche Beschäftigung mit der Liste; die Semiotik, Soziologie, Rhetorik, klassische Philologie und die Kultur- und Literaturwissenschaften haben sich bereits des Phänomens angenommen, am prominentesten vielleicht Michel Foucault (mit »Les mots et les choses«, 1966, dt. »Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften«) und Umberto Eco (mit »Vertigine della Lista«, 2009, dt. »Die unendliche Liste«), dezidiert literaturwissenschaftlich etwa Robert E. Belknap (z.B. mit »The List. The Uses and Pleasures of Cataloguing«, 2004) und Eva von Contzen (z.B. mit »Grenzfälle des Erzählens: Die Liste als einfache Form«, 2017). Auffällig ist aber, dass in diesen Darstellungen ein Literaturzweig, in dem es von Listen ebenfalls nur so wimmelt, ausgelassen oder bestenfalls gestreift wird: die Kinder- und Jugendliteratur (ausgenommen Debbie Pullinger 2015, die sich mit Listen in der britischen Kinderlyrik beschäftigt). Wie verhält es sich nun mit diesen kinderliterarischen Listen?
…
Den gesamten Beitrag lesen Sie in 1001 Buch 4|18.
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Sechs Minuten und zwanzig Sekunden
Der Amok und die Jugendliteratur. Von Heidi Lexe
"Fight for your lives before it’s someone else’s job."
Mit dieser zornigen Aufforderung wird Emma Gonzáles zur Leitfigur einer nach dem Amoklauf in Parkland/Florida spontan entstandenen zivilgesellschaftlichen Protestbewegung. Als couragierte Überlebende des 14. Februars 2018 ergreift die Jugendliche bei Demonstrationen und in Talkshows das Wort gegen Waffengewalt. Denn auch wenn der Psychiater und Psychotherapeut Peter Langman festhält, dass Schulamokläufe sich nicht allein durch eine spezifische "Waffenkultur" erklären lassen(1), so gehört die "Verfügbarkeit"(2) von Waffen doch wesentlich zum Kontext eines Amoklaufes; die in den USA wiederum durch den verfassungsrechtlich geschützten Privatbesitz von Handfeuerwaffen und halbautomatischen Waffen befördert wird.
Als bisheriger Höhepunkt des "March for Our Lives" gelten die landesweiten Protestaktionen vom 24. März 2018. In Washington setzt Emma Gonzáles die zehntausenden Teilnehmer_innen dabei gezielter Irritation aus: Nach etwas mehr als 2 Minuten überführt sie ihre Rede in Schweigen. Erst nach 6 Minuten und 20 Sekunden Präsenz auf dem Podium ergreift sie wieder das Wort und markiert damit jene Zeiteinheit, in der der 19-jährige Nikolas Cruz in seiner ehemaligen High School 17 Menschen tötet, 15 verletzt und das Leben aller anderen für immer verändert ("everyone was forever altered"(3). Das Spannungsmoment, das aus dem Unverhältnis zwischen dieser erschreckend kurzen Zeitspanne und den daraus entstehenden Bruchlinien im Leben der (überlebenden) Jugendlichen resultiert, wird auch in literarischen Annäherungen an Ausnahmephänome wie Schul-Amokläufe oder Attentate zur einer dramaturgischen Konstante. >…
Mehr über den Amok im Beitrag in voller Länge in 1001 Buch 3|18.
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