Liebe Leserinnen und Leser,
die 1002. Seite dieser Ausgabe stammt von Hannes Binder, und das ist sehr angemessen. Der "schwarze Binder" wird er auch genannt, der Meister des Schabkartons. Das ist eine Technik, mit der sich – nur in Schwarz und Weiß – "Zwielichtiges, Eigenartiges und Unheimliches effektvoll darstellen" lässt, wie er selbst formuliert und auch in seinem neuesten Buch "Die zweite Arche" zeigt (siehe Rezension S. 60). Das hat mit dem Licht zu tun, das aus Schabkartonbildern heller strahlt. Auf die Frage, ob Schwarz die Farbe der Schwarzmaler sei, meint Stefanie Harjes dementsprechend auch sehr bestimmt: "Auf gar keinen Fall! Schwarz ist eine klare Position: ja oder nein. Schwarz hat nichts Halbes und nichts Vages. Mit Schwarz beziehst du Position." Warum sie Schwarz so gern mag, erzählt die Hamburger Illustratorin im Gespräch über schwarze Kleidung, schwarze Striche und "unheilverkündendes Gekrakel".
Dass auch andere BilderbuchkünstlerInnen mit einer Vorliebe für Schwarz Position beziehen (auch wenn diese auf dem Buchmarkt eher abseits des gut verkäuflichen Mainstreams angesiedelt ist), zeigen zwei weitere Beiträge: Peter Rinnerthaler hat sich Bücher angesehen, die schwarz-weiß-grau bebildert sind und kann unbunten Illustrationen viel abgewinnen. Etwa Hannes Binders Version von Lisa Tetzners "Die Schwarzen Brüder", die soeben neu aufgelegt wurde. Und Silke Rabus hat Schnittstellen in den Fokus genommen. Wird mit Schere oder Lasercuts gearbeitet, geht es immer auch um Durchlässigkeit – des Lichts, des Blicks, des Stoffes. Der Scherenschnitt ermöglicht spezielle Erzählweisen und bietet den LeserInnen zudem oft interessante haptische Erlebnisse. Dass dieserart Buchkunstwerke filigran und verletzlich sind, macht sie noch wertvoller. Hannes Binders 1002. Seite hat übrigens den Titel "The world is black". Das hat, wie er mir schrieb, mit einer Tasse Kaffee zu tun, einer Amsel und den ersten vier Tönen des Songs "Black and White". Ich bin sicher, Sie würden sofort mitpfeifen – wie die Amsel –, schließlich haben "Three Dog Night" den Song 1972 sehr populär gemacht: "The ink is black / The page is white / Together we learn to read and write / A child is black / A child is white / A whole world looks upon the sight / A beautiful sight …" Der Song ist allerdings schon älter, David I. Arkin und Earl Robinson haben ihn 1954 geschrieben. Und in dieser ursprünglichen Version hat er so begonnen: "Their robes were black, their heads were white, / The schoolhouse doors were closed so tight, / Nine judges all set down their names, / To end the years and years of shame." Anlass für dieses Lied war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten von Amerika im Fall "Brown v. Board of Education", die das Ende der rechtlich sanktionierten Rassentrennung an staatlichen Schulen in den Vereinigten Staaten zur Folge hatte.
Wie viel und wie wenig zugleich dieses Urteil für das Leben von AfroamerikanerInnen bedeutet (hat), ist an der Geschichte ablesbar. Und war immer auch Thema der Literatur. Zuletzt scheint das Interesse an Erzählungen darüber gestiegen zu sein: Dtv publiziert mit großem Erfolg James Baldwins Werke in neuer Übersetzung, Colson Whiteheads Romane ("Underground Railroad" und "Nickel Boys") werden gefeiert, Jacqueline Woodson wurde 2018 mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet. Mit Jason Reynolds, Angie Thomas oder Alex Wheatle sind jetzt auch jugendliterarische "voices of color" in deutscher Sprache zu lesen. Claudia Sackl setzt sich mit den wichtigsten Texten analytisch auseinander, Kathrin Wexberg porträtiert nicht nur den Briten Alex Wheatle, sie sucht darüberhinaus die "women of color" in den beiden populären frauenbiografischen Serien "Rebel Girls" und "Unerschrocken". Valerie Meinitzer hat Jason Reynolds’ "Defenders-Reihe" gelesen.
Viel Schatten ist, wo viel Licht ist. In diesem Dazwischen, dem "Zwielichten" also, ist oft auch die Genreliteratur zuhause. Sie darf hier nicht fehlen. Christina Pfeiffer-Ulm hat unter ihrem Bett nachgesehen, ob da neue Monster hocken oder der Horror in der Kinder- und Jugendliteratur immer noch mit klassischem Getier bevölkert ist. Julia Krokoszinski ist jenen Aasfressern gefolgt, denen mangelnde Manieren, aber hohe Intelligenz nachgesagt wird und die gern in der Phantastik auffliegen. Mit Anna Stemmann kann man durch Gotham City spazieren und Helden samt Fuhrpark und anderer Ausstattung begutachten. Die Kolleginnen von der STUBE schließlich, die bekanntermaßen eine Präferenz für Schwarz haben, geben einen sehr gut informierten Einblick in die Verhältnisse im "House of Black".
Den Übergang zum Besprechungsteil liefert Marlene Zöhrer, in deren Reihe "Zur Sache" es um Bücher geht, die sich dem Leben unter der Erde widmen. Weitgehend oberirdische Sachbücher – über die Entstehung des Lebens, höfliche Bakterien, potentielle neue Lieblingstiere oder den Mist, den, nein, nicht die Viecher, sondern wir machen – werden auch besprochen. In 1001 Buch digital plus finden Sie Medienlisten, interessanter Tipps, Beiträge vergriffener Ausgaben von 1001 Buch zum Thema oder zusätzliche Rezensionen. Etwa des aktuellen Buchs von Stefanie Harjes oder der "Heidi"-Ausgabe von 2008 in der Textfassung von Peter Stamm und mit Illustrationen von Hannes Binder, über die eine andere Heidi, nämlich Lexe geschrieben hat: "Zeitlos, leicht und heiter".
So soll auch Ihr Herbst sein. Selbst wenn das Licht weniger wird. Das ist kein Grund zum Schwarzsehen. Schließlich gibt es nicht nur die Sonne, sondern auch den Mond und die Sterne. Darüber können Sie dann in der nächsten Ausgabe lesen.
Franz Lettner
Jenseits der Hashtags
Claudia Sackl über Black Empowerment in aktueller internationaler Jugendliteratur und Populärkultur
In den letzten Jahren erschienen am deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchmarkt vermehrt aus dem Englischen übersetzte Texte, die von Autor_innen mit afroamerikanischen bzw. -britischen Wurzeln verfasst wurden und sich zentral mit rassistischer Diskriminierung, struktureller Benachteiligung und Schwarzer Selbstermächtigung beschäftigen. Schriftsteller_innen wie Angie Thomas, Alex Wheatle, Jason Reynolds oder Tomi Adeyemi schreiben in ihren jugendliterarischen Romanserien gegen derzeit wieder remobilisierte stereotype Narrative über Schwarze Menschen an und thematisieren die vielschichtigen Verflechtungen von Rassismus, Armut, Gewalt und Kriminalität. Nicht zuletzt verhandeln sie auch zentrale Fragestellungen der (Ohn-)Macht über Schwarze Selbst- und Fremddarstellung in der Diaspora1 und innerhalb einer Weißen Mehrheitsgesellschaft, die tendenziell lieber auf einfache Stereotype zurückgreift, als auf die komplexen Realitäten dahinter zu blicken. Gerade im Zuge des aktuellen internationalen rassistischen Backlashs, der im Kontext weiterer Reetablierungsprozesse konservativer Wertevorstellungen und der Enttabuisierung diskriminierender Inhalte steht, ist der Ruf nach ermächtigenden (literarischen) "Stimmen of color" wieder besonders laut geworden. In einer Zeit, in der Weißer Nationalismus nicht nur in den USA wieder aufflammt und es einer #BlackLivesMatter-Bewegung bedarf, um an den Wert des Lebens aller Menschen zu erinnern, kommt Romanen wie "The Hate U Give" (Angie Thomas, 2017) oder Filmen wie "Black Panther" (Ryan Coogler, 2018) eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu.
Der Bereich der medialen und nicht zuletzt der literarischen Darstellung bleibt dabei das zentrale Feld kultureller Auseinandersetzungen um Rassismus, Marginalisierung und Selbstbestimmung. In Interviews betont die US-amerikanische Autorin Angie Thomas zum Beispiel immer wieder, wie wichtig es für sie in ihrer Kindheit war, Geschichten zu lesen, in denen sie sich selbst "sehen" konnte. Und wie wichtig es ihr daher ist, Geschichten zu schreiben, in denen sich Schwarze Kinder/Jugendliche auf bestärkende Weise repräsentiert sehen.
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Albertally, B.: Ein Happy End
Ammann, N.: Wundertier Schwamm
Arb N. von: Drei Väter
Arnold, D.: Ganz schön kaputte Tage
Bate, H.: Peter in Gefahr
Bourhis H. & Brüno: Black & Proud
Budde, N.: Krake beim Schneider
Dabos, Ch.: Die Spiegelreisende
Defoe, D. & W. Glasauer (Ill.): Robinson Crusoe
Don, L.: Mind Blind
Doyle, J.: Woran merke ich …
Fletcher, S.: Die Reise …
Fuchs, M. & A. Ofner (Ill.): Klarissa …
Garbe, Ch. u.a. (Hrsgg.): Attraktive Lesestoffe
Gardam, J. Bell und Harry
Gauthier, S. & C. Lefèvre: Die entsetzliche Angst …
Gratz, A.: Amy …
Green, H.: Ein wirklich erstaunliches Ding S. 63
Greve. K.: Die dicke Prinzessin Petronia
Grill, A. & D. Sengl (Ill.): Fiffy + Maurice
Hach, H.: Flo und Valentina
Hach, L.: Grüne Gurken
Hein, Christoph & R. S. Berner (Ill.): Alles, was du brauchst
Hofer. R. & L. Maurer: Insekten
Janisch, H. & H. Binder (Ill.): Die zweite Arche
Jünger, B.: Der Mantel
Kelly J. & K. Niimura (Ill.): I Kill Giants
Laibl, M. & L. Richter (Ill.): So ein Mist
Lembcke M. & C. Burmeister (Ill.): Jetzt sind wir einfach glücklich
Letterie, M.& J. Völk: Kinder mit Stern
Lienhard, D.: Ich bin die …
Linker, Ch.: Und dann weiß jeder …
Mesa, S. C.: Die Uhr meines Großvaters
Meurisse, C.: Weites Land
Munro, F. u.a.: Die Entstehung des Lebens
Nieder, H: (Hg.) & K. Staar (Ill.): Ein Schnupfen …
Nyhus K. D.: Die Welt sagte ja
Pauli, L. & S. Bougaeva (Ill.): Alles war See
Pauli, L. & . Schärer (Ill.): Am Sonntag
Pressler, M.: Dunkles Gold
Prinz, A.: I have a dream
Radeva, S.: Darwins Entstehung der Arten
Raidt, G.: Müll
Reeves, H. u. a.: Hubert Reeves …
Reffert, T.: Linie 912
Reynolds, J.: Ghost / Patina / Sunny / Lu
Rørvik, B. F. & G. Moursund (Ill.): Die Böckchen-Bande …
Sassen, E.: Ein Indianer …
Schaap, A.: Emilia und der Junge aus dem Meer
Scheuring, Ch.: Absolute Gewinner
Schlichtmann, S.: Mattis
Silvera, A.: Was mir bleibt von dir
Sparschuh, J. & J. Dürr (Ill.): Jakobs Muschel
Stein-Fischer, E.: Maja und Robobo
Strömquist, L.: I’m every woman
Tienti, B.: Unterwegs mit Kaninchen
Toledo, E.: Juju und Jojó
Vry, S. & V. Herbst (Ill.): Durch den Dschungel …
Walenta, A. & J. Dürr (Ill.): madame Fafü
Wildenhain, M.: Das schöne Leben …
Wostokow, S.: Frossja Furchtlos
Wrobel, D. & J. Mikota (Hrsg.): Flucht-Literatur
Wyss, N. & B. Utz & J. Aspinall (Ill.): Welche Größe hat dein Herz?
Die Besprechungen können Sie in absehbarer Zeit auch in der Rezensionsdatenbank Rezensionen online lesen