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S pr ich!
Vielleicht / die Versform / weil Dinge / nicht leicht / zu sagen sind // Ein Zögern / Tasten nach / Worten für das / was noch / ungewiss oder ungeformt / ist // Aufforderung / langsam zu lesen?
Beate Schäfer
Literatur ist immer »Übersetzung«. Egal ob sie gedruckt oder gesprochen wird. Egal ob auf dem Papier, im Theater oder im Hörspiel/Hörbuch.
Hartmut El Kurdi
Am Anfang weiß ich nur: Ich bin. Ein flüchtiger Gedanke, der Funke einer Idee. Ich muss wachsen und gedeihen, muss mir selbst auf die Sprünge helfen, mir auf die Schliche kommen, hinter alle meine Masken blicken, jeglichen Ausflüchten den Weg verbarrikadieren.
Elisabeth Steinkellner
gedichte/kindergedichte sprechen in alle richtungen. und aus allen richtungen. im grunde könnte man sich ein kinder/gedicht als eine kreuzung vorstellen, von der man sich in alle richtungen wegbewegt und auf die man sich aus allen möglichen richtungen zubewegen kann.
Michael Hammerschmid
Poesie, das große Geheimnis, das sich aber doch hinter jeder Ecke versteckt und entdeckt werden will.
Renate Habinger
Es beginnt mit einer kleinen Sprechblase, die von Panel zu Panel immer größer wird, während sich die Schrift innerhalb der Sprechblase zunehmend verkleinert, bis diese am Ende der Seite das gesamte Panel ausfüllt und die Figur beinah zerdrückt.
Martin Reiterer
Inhalt
Die 1002. Seite
Jens Rassmus
ist Franz Lettner
Read slowly, savour the wor(l)d!
Beate Schäfer über das Übersetzen
Vielheiten feiern
Chantal-Fleur Sandjon im Gespräch mit Claudia Sackl
Hartmut El Kurdi über das Übersetzen und Übertragen in andere Sprachen, Medien und Künste
Man kann nicht nicht Reels auf Insta teilen
Christina Pfeiffer-Ulm über die Kommunikationsformen Jugendlicher (im Jugendroman)
Ich bin weil wir sind
Elisabeth Steinkellner
denk mal gedichte!
Michael Hammerschmid
Leise & laut
Wie wortlose Bilderbücher Lärm machen
Silke Rabus
Poetische Sehnsucht nach Abenteuer
Nils Mohl über ein Gedicht von Lena Raubaum
Frohes, scheues Jahr
Lena Raubaum über ein Gedicht von Nils Mohl
Wer spricht?
Martin Reiterer über Text in Comics
Sprich. Schrei!
Laut werden mit Laurie Halse Anderson
Simone Kremsberger
Banned Books
Simone Kremsberger über Zensurversuche in öffentlichen Bibliotheken in den USA
Das ABC des Kinderbuchhauses
Renate Habinger über 10 Jahre Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl
Michael Hammerschmid
ist zeitlos
"Farväl" von Anders Holmer
wurde in der grund_schule der künste gelesen
Zur Sache 14: Verstehst du mich?
Marlene Zöhrer über sprechende Tiere im Sachbuch
Liebe Leserinnen und Leser,
es kommt bei mir zuhause vor, dass einer »Nein!« sagt. Bisweilen (nicht immer) erwidert jemand: »Doch!«. In diesem Fall folgt fast ausnahmslos ein »Oooh!«. Manche von Ihnen werden jetzt denken: Und weiter? Andere werden lachen. Sie haben vermutlich angesichts des absurden Gesprächs, das Jens Rassmus hier links inszeniert, ebenfalls an Louis de Funès in »Hasch mich – ich bin der Mörder« gedacht … Wer die Komödie von 1971 vor Augen hat, wird sich fragen, ob Jens Rassmus in seinem Dialog den Film zitiert und am Ende bewusst falsch abbiegt – oder ihn gar nicht kennt? Vielleicht ist er ja auch nur am Küchentisch gesessen und hat darüber nachgedacht, was er für die 1002. Seite zum Thema »Sprich« abliefern sollte. Und dann hat das, was vor ihm auf dem Tisch lag, gesprochen? Ich weiß es nicht – und es ist ja auch egal. Wichtiger ist, dass hier augenscheinlich wird, was drei kleine Wörter alles bedeuten können – oder auch nicht. Je nachdem, wer sie wie ausspricht, wem in den Mund legt, wer sie hört oder liest und was die- oder derjenige versteht. Sollten Sie bis jetzt – abgesehen von Jens Rassmus’ wunderbarem Blatt – nur Bahnhof verstanden haben, grämen Sie sich nicht. Sie haben halt den Film von Louis de Funès nicht gesehen. Oder Sie verstehen diese Art von Humor nicht recht.
Wenn man das Gefühl hat, beim Lesen eines Buchs nicht alles zu verstehen, kann das auch daran liegen, dass man die Sprache nicht gut genug kennt, die literarischen Konventionen oder den Kontext. In diesen Fällen braucht man eine*n Übersetzer*in. Übersetzen ist ein Handwerk, eine Kunst, ein Drahtseilakt. Für mich auch ein Mysterium, das viele Fragen aufwirft. Etwa: Wie viel Beate Schäfer steckt in den deutschen Übersetzungen von Kimberly Brubaker Bradleys »Gras unter meinen Füßen« oder Malinda Los »Last Night at the Telegraph Club«? Wenig, mutmaße ich im ersten Moment, so unterschiedlich sind die beiden Romane. Und doch ist jede Zeile dieser Bücher durch den Kopf der deutschen Übersetzerin gelaufen. Wie der grundsätzlich schwer fassbare Prozess des Übersetzens bei ihr funktioniert, versucht Beate Schäfer in ihrer Selbsterkundung nachvollziehbar zu machen. Sollten Sie jetzt fragen, ob das korrekt ist, dass eine weiße erwachsene deutsche Frau in die Haut einer 17-Jährigen schlüpft, die in den 1970er Jahren in der chinesischen Community von San Francisco lebt und sich in ein Mädchen verliebt, lesen Sie auch den Beitrag von Hartmut El Kurdi. Geht das, habe ich den Autor und Performer gefragt, als nicht mehr ganz so junger deutscher Mann dem 15-jährigen pakistanisch-stämmigen norwegischen Ghetto-Boy aus »Ey, hör mal!« (übersetzt von Meike Blatzheim und Sarah Onkels) seine Stimme zu leihen? Es geht gut, so viel sei verraten.
Einer Schwarzen Jugendlichen hat Chantal-Fleur Sandjon in ihrem gefeierten Versroman »Die Sonne, so strahlend und Schwarz« eine Stimme gegeben. Was der Erfolg – u. a. Deutscher Jugendliteraturpreis 2023 – für die afrodeutsche Autorin und ihre Arbeit bedeutet, hat sie Claudia Sackl erzählt. Das bekannteste Buch der ebenfalls hochdekorierten Laurie Halse Anderson – sie ist aktuelle ALMA-Preisträgerin – hat den deutschen Titel »Sprich«. Simone Kremsberger hat den 2001 von Birgit Kollmann übersetzten Roman wiedergelesen. Und sich mit Zensurversuchen in öffentlichen Bibliotheken in den USA befasst, von denen der Roman massiv betroffen ist.
Als Antwort auf die Frage, was es mit der Ich-Perspektive auf sich hat, die zu boomen scheint, hat Elisabeth Steinkellner in einem hybriden Text ihr sprechendes Ich durchdekliniert. Am Ende wird es zu einem Wir.
Hammerschmid, der in seiner Kolumne auch von der Schönheit von Fehlern spricht (sein neues Buch ist wahrscheinlich fehlerlos, ganz sicher aber »zeitlos«). Des Weiteren haben sich Lena Raubaum und Nils Mohl jeweils ein Gedicht der/des anderen vorgenommen. Es kommt was Gutes raus, wenn man Lyriker:innen über Gedichte reden lässt! Oder Martin Reiterer über Comics. Der Liebhaber und Kenner des Genres zeigt, dass darin bei weitem nicht nur in Blasen gesprochen wird. Gar kein Text ist in den Bilderbüchern, die Silke Rabus gelesen hat. Auch wenn sie »Silent Books« genannt werden, still ist es ihnen beileibe nicht. PING! Sprechen Sie WhatsApp oder TikTok? Haben Sie davon in der Jugendliteratur schon mal was gehört? Eben! Christina Pfeiffer-Ulm hat darüber nachgedacht, warum die Sprache der sozialen Medien literarisch so wenig Niederschlag findet. Dafür bekommt sie einen 👍.
Das lyrische Sprechen übernimmt zum Einen wieder Michael Mit vielen ❤ ❤ wird das Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl im niederösterreichischen Oberndorf bedacht. Es feiert nämlich seine ersten zehn Jahre. Was diesen kreativen Ort der Literaturvermittlung ausmacht, hat dessen Mastermind Renate Habinger in ein ABC verpackt.
Zum Schluss möchte ich Sie auf die zahlreichen interessanten Bücher hinweisen, die auch besprochen werden (zwei davon hat Jens Rassmus illustriert, siehe S. 25 & 53). Und kann Ihnen auch noch verraten, was Sie in der nächsten Ausgabe erwartet: Wir werden einige höchst interessante Berechnungen zur Literatur anstellen.
"Nein!"
"Doch!"
"Oooh!"
Bleiben Sie uns gewogen.
Franz Lettner
… aber es hilft
Hartmut El Kurdi über das Übersetzen und Übertragen in andere Sprachen, Medien und Künste
Literatur ist immer »Übersetzung«. Egal ob sie gedruckt oder gesprochen wird. Egal ob auf dem Papier, im Theater oder im Hörspiel/Hörbuch. Meistens finden sogar mehrere Übersetzungsvorgänge hintereinander statt. Und damit sind selbstverständlich nicht nur Übertragungen von einer Landessprache in eine andere gemeint. Wie jede Kunst muss Literatur einen Ausdruck, eine Sprache finden für etwas, das auf anderen Ebenen stattfindet. Vor allem für Gefühle, aber auch für visuelle Phänomene und Handlungen. In der Musik besteht diese Sprache, in die man all dies »übersetzen« muss, aus Tönen, in der bildenden Kunst aus Farben und Formen. In der Literatur ist die Sprache Sprache im eigentlichen Sinne. Es geht um Wörter und Sätze. Dieser Vorgang ist allerdings einer, den auch Nichtschreibende täglich praktizieren: Wir alle erzählen anderen von Dingen, die uns passiert sind, wir beschreiben etwas, das wir beobachtet haben, wir sprechen von Gefühlen. Manche von uns beherrschen das besser, sind dabei genauer, andere scheitern regelmäßig. Aus verschiedenen Gründen.
Ein*e Autor*in muss aber in der Regel noch einen Schritt weiter gehen: Er oder sie muss entscheiden, welche Art von Sprache die richtige für die jeweilige Geschichte oder Figur ist: Hochsprache, Umgangssprache, Dialekt, Soziolekt, ganze Sätze, einzelne Wörter, Reime, Fragmente, Metaphern oder sachliche, klare Aussagesätze …
Nehmen wir das ebenso berührende wie unterhaltsame und komische norwegische Jugendbuch »Hør her’a!« von Gulraiz Sharif. Als ich die deutsche Übersetzung »Ey hör mal!« vor ziemlich genau zwei Jahren zum ersten Mal las, war ich sofort begeistert. Aber auch skeptisch. In meiner Rezension schrieb ich über Sharifs selbstironischen und vielschichtigen In-the-face-Kanak-Ghetto-Sound: »Am Anfang fragt man sich kurz, ob man in diesem Ton einen ganzen Roman erzählen kann.« Das ist zunächst mal eine erzählerisch-handwerkliche Frage. Eigentlich aber betrifft es verschiedene Aspekte des »Übersetzungs«-Phänomens. Und übrigens: Ja, man kann.
Wie reden fünfzehnjährige Kanaks?
Gulraiz Sharif ist ein Norweger mit pakistanischen Wurzeln. Ein Kind eingewanderter Arbeitsmigranten. So wie seine Hauptfigur, der Ich-Erzähler Mahmoud. Allerdings ist Sharif Ende 30, Mahmoud ist fünfzehn. Mahmoud redet wie clevere fünfzehnjährige Kanaks eben so reden. Oder so, wie wir denken, dass fünfzehnjährige Kanaks reden. Oder so, wie uns Gulraiz Sharif glauben machen will, dass fünfzehnjährige Kanaks reden. Wer kann das schon entscheiden? Außer die fünfzehnjährigen Kanaks selbst.
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Aktuelle Neuerscheinungen
Folgende Titel werden in dieser Ausgabe von 1001 Buch besprochen:
Anderson: Sprich
Baltscheit: Papa liest vor!
Baltscheit & Wellmann: Oma zu verkaufen
Batiste & Crowley & Duriez: Das Handbuch der vergessenen Fertigkeiten
Becker: Luftmaschentage
Bouchard: Ein Tag im Leben einer Fee
Boyken & Stemmann: Von Mund- und Handwerk
Brandt & Orecchia: Kaya weiß, was sie will
Bunting: Das Lexikon einzigartiger Tiere
Eggermann: Wer steigt ein?
Fehr & Mourrain: So kam das mit dem Drachen
Figura & Mizielinska & Mizielinski: Wölfe
Funke: Die Farbe der Rache
Gatzmaga & Popescu: Ellea und die Stadt
Grill & Neuditschko: Bio-Diversi-Was?
Guillain & Empson: Unter mir das Meer
Gutzschhahn & Rassmus: Dunkel war’s, der Mond schien helle
Hach: Was Wanda will
Hammerschmid: stopptanzstill!
Hochleitner: Flimmern
Hörnlein: Eine wie sie fehlt in dieser Zeit
Holmer: Farväl
Janesch: Sibir
Jarvis: Bär und Pieps
Karinsdotter: Der Sommer, in dem ich meine Oma zähmte
Kelly: Irgendwo wartet das Leben
Koch: Linas Geheimnis
Könnecke: Buddeln, baggern, bauen
Kramer: Ida Butterblum und die Tür nach Anderswo
Laibl & Dreis: Wie ich die Welt mir träume
Melanie & Jegelka: Unsere wunderbare Werkstatt der Zukünfte/Ideen fürs Anthropozän
Lambo-Weidner & Haslbauer: Es gibt keine Drachen in diesem Buch
Leitl: Einkaufen macht Spass!
Malitius: Buh!
Mohamed: Komm runter!
Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme
Morosinotto: Time Shifters
Paolini: Murtagh
Pickel: Rattensommer
Pin: Das bist du
Piuk & Palacio: Josch der Froschkönig
Preußler: Krabat
Raubaum & Aufderhaar: Luki Laus
Rassmus: Regentag
Reifenberg: An den Ufern des Orowango
Rosenkranz & Palmtag: Als Mama einmal unsichtbar war
Sandjon & Farfort: So leben wir – und wie lebst du?
Schädlich & Stang & Davies: Mensch!
Schärer: Kann ich alleine!
Schäuble: Alle Farben grau
Scheffler & Donaldson: Der Dachs spielt super Kontrabass
Scherz: Sieben Tage Mo
Schrocke: Weiße Tränen
Shaloshvili: Frau Leo legt los
Skomsvold & Johnsen: Alle schlafen
Skowrońska & Dudek & Nowak: Die Elemente unserer Welt
Straßer: Waschbär wäscht Wäsche
Teckentrupp: Weck bloß Tiger nicht auf!
Thoma: Auf leisen Pfoten unterwegs
Walenta & Plaas: Dort fliegt sie!
Wolf & Kreitz: In einem alten Haus in Berlin
Woodson: Eine Weile bleibt die Zeit für uns stehen/Seit du gegangen bist
Zeh & Hoven: Der war’s
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